Energiewende geht – Exkursion Fuchstal, Bayern
2. Juli 2024
Energiewende geht – das zeigt die Gemeinde Fuchstal im bayrischen Allgäu.
Sechs Mannen unseres Vereinsvorstands inkl. zweier Bürgermeister aus dem Attergau machten sich auf die über 250 km lange Reise, um zu sehen wie.
Als erste Station steuerten wir das Rathaus Fuchstal an, wo wir sehr freundlich vom hemdsärmeligen Bürgermeister Erwin Karg (59, Freie Wählergemeinschaft) empfangen wurden. Der Ort liegt etwa 80 km westlich von München und verfügt über relativ wenige Betriebe, was sich später als ein Grund für den Erfindungsreichtum in Sachen Erneuerbare Energie herausstellte.
Sitzungssaal Rathaus Fuchstal
Doch von Anfang an: Im Sitzungssaal gab uns der Bürgermeister einen ersten Überblick über die verschiedenen Energie-Initiativen in der Gemeinde. Voraus schickte er glaubhaft, dass sie das nicht in erster Linie aus ökologischen Gründen machten. Vielmehr, um unabhängig zu werden, der Gemeinde längerfristig laufende Einnahmen zu ermöglichen und die Wertschöpfung im Ort zu behalten. Eine Zahl dazu: alle Investitionen zusammen bringen mittlerweile rund fünf Millionen Euro lokale Wertschöpfung. Jährlich!
Kernelemente
Zu den Kernelementen zähl das 13 Kilometer messende Nahwärmenetz, das zum großen Teil von der Abwärme einer örtlichen Biogasanlage gespeist wird. Weitere stellen der Windpark mit nunmehr sieben Windrädern und mehrere gemeindeeigene, großflächigen Photovoltaikanlagen dar. Ein riesiger Warmwasser- sowie auch Stromspeicher runden das vorbildliche Energie-Programm ab.
Mit dieser Informationsgrundlage im Gepäck machten wir uns auf zur ersten Station, der Biogasanlage des findigen Unternehmers Werner Ruf (Firma Biogas Gröber Ruf).
Dort produziert Ruf (Bildmitte, mit blauem Hemd) mit seinem Partner Roland Gröber seit 2009 neben dem Strom aus Biogas für die Gemeinde 4 Mio. kWh Abwärme sowie 2 weitere Mio. kWh Wärme aus Hackgut. Ca. 450 Gebäude werden damit aktuell im Ort versorgt. Die Firma ist privat und verkauft der Gemeinde lediglich Wärme. Das Nahwärmenetz gehört allein der Gemeinde.
Werner Ruf, Energievision im Stromspeicherraum
Preislich lag man zu Beginn bei lediglich 6 Cent für die Kilowattstunde Wärme, aktuell werden den angeschlossenen 9,4 Cent verrechnet (zzgl. Grundgebühr), was immer noch moderat ist.
Um Spitzen beim eigenen Energieverbrauch abzufedern, installierte Werner Ruf noch einen 500 kWh-Stromspeicher sowie eine 1 MWp Photovoltaikanlage auf den Firmendächern.
Fakten Biogasanlage, Nahwärmenetz:
- 6 Mio kWh Wärme, davon 4 Mio kWh aus Biogas + 2 Mio kWh aus Hackgut
- Verwertet ca. 50/50 Mais und Wiesengras von einer Gesamtfläche von ca. 300 ha,
- gesamtes Material aus max. ca. 4 km Radius Umgebung, Material eher leicht zu bekommen
- 500 kWh Batteriespeicher
- 1 MW PV, 1 MW Hackschnitzelheizung
- 15.700 m³ Biogassubstrat, 11.000 m³ Gülle geht als wertvoller Dünger an Biomasse-Lieferanten zurück
- 2021 Wärmenetzerweiterung auf 450 Anschlüsse, Abschreibung über 15 Jahre
- Investition: Ca. 4,5 Mio. Euro
Sonnenstrom aus Photovoltaik
Weiter ging‘s vorbei an gemeindeeigenen Photovoltaik-Freiflächen-Anlagen. Diese wurden von 2011 an beginnend kontinuierlich auf Deponieböden und landwirtschaftlichen Flächen errichtet. Heute zählt die Gemeinde Module mit 2 MWp Leistung auf Freiflächen sowie weitere 500 kWp auf gemeindeeigenen Gebäuden. Allein damit werden ca. 2,5 Mio kWh Ökostrom pro Jahr erzeugt.
Freiflächen Photovoltaik Fuchstal
Bürgerwindkraft Fuchstal
Fakten Photovoltaik:
- 2011 erste PV-Freiflächenanlage mit 450 kW,
- 2019 zweite mit 750 kW und 2021 die dritte mit ebenfalls 750 kW, ca. 2.000.000 kWh Jahres-Produktion
- 500 kWp gemeindeeigenen Gebäuden
- Investition: ca. 3,5 Mio. Euro
Bereits vom Mittagstisch aus – das Essen war vorzüglich und mehr als reichlich – sahen wir schon unseren nächsten Programmpunkt: die Bürgerwindkraft Fuchstal.
Warum Bürgerwindkraft? Weil die Gemeinde hier bewusst privaten Menschen und Firmen in und um den Ort die Möglichkeit gab, sich finanziell am Windpark zu beteiligen. So halten nur 50 % der Anteile die Gemeinde, die weiteren 50 % hingegen private Investoren. Zuvor ließ man die Einwohnerinnen und Einwohner noch abstimmen, was relativ knapp mit 52,7 % pro Windpark ausging.
Windrad Bürgerwindkraft Fuchstal
Technisches Datenblatt Windkraftanlage
Fakten Windpark:
- Bürgerentscheid 2014 mit 52,7 % pro Windräder
- 1. Start 2016 4 Enercon-Räder, Jahresproduktion ca. 24 Mio kWh Strom, Bürgerbeteiligung 50 %, 50 % Gemeinde, 115
- Gesellschafter mit á mind. 5.000 € Mindestbeteiligung in GmbH & Co KG, attraktive Verzinsung
- 2024 3 neue Räder á 5,5 MW, Ertrag ca. 8 Mio kWh pro Rad, 250 Gesellschafter, 50/50 Gemeinde/Bürger:innen
- Investition für Gemeinde: ca. 6,4 Mio Euro
Letzte Station der beeindruckenden Führung war der Strom- und Wärmespeicher der Gemeinde. Im Jahr 2022 baute man hier einen insgesamt 5.200 m³ (!) großen Pufferspeicher sowie einen Stromspeicher mit einer Kapazität von 3,2 MWh. Unglaubliche Dimensionen!
Bürgermeister Karg vor der Schaltzentrale des Wärme- und Stromspeichers
Bürgermeister Karg erklärte fachkundig die Umwandlung von Überschuss-Strom in Wärme.
Sinn und Zweck ist die Zwischenspeicherung von Energie, die großteils vom Windpark kommt und gerade nicht verkauft werden kann. So kann man weitere 500.000 kWh sinnvoll puffern, teilweise in Wärme umwandeln und bei Bedarf ins Wärme- oder Stromnetz einspeisen.
Fakten Strom- und Wärmespeicher:
- Stromspeicher von 3,2 MWh (ca. 65 durchschnittlich E-Autos!), Baujahr 2021
- Wärmepufferspeicher gesamt 5.200 m³.
- Anlage zentral zwischen Windrädern, PV, Biogas und Gemeindegebäuden.
Durch die relative schwache Wirtschaftskraft von Fuchstal und wohl auch der Findigkeit des Bürgermeisters sowie seiner Mitstreiter:innen lukrierte man verhältnismäßig hohe Förderungen. Beim Strom- und Wärmespeicher beliefen sie sich sogar auf 75 %!
Heimreise
Nach einem sehr motivierenden Tag mit vielen Zahlen im Kopf (und am Schreibblock) traten wir wieder die Heimreise an. Wir alle sind begeistert von den vielfältigen und durchaus mutigen Initiativen der kleinen Gemeinde, die nun die Früchte von langjährigen Investitionen ernten kann. So sollen heuer 75 Mio. kWh Strom erzeugt und damit über 5 Mio. € an lokaler und unmittelbarer Wertschöpfung generiert werden. Zum Vergleich: Der aktuelle Verbrauch in der Gemeinde liegt bei nur ca. einem Drittel, ca. 24 Mio. kWh. Für das Gemeindebudget bedeutet das heuer rund eine Mio. Euro Zugang, nächstes Jahr bereits 1,5!
Zwischenstopp im Energiewald
Am Heimweg machten wir noch einen kurzen Zwischenstopp am schönen Wörthsee. Energievision-Vorstandsmitglied Reinhard Sperr lieferte dort mit seinem Betrieb vor mehr als 15 Jahren die ersten Pappel-Stecklinge an den Grundlerhof, womit dieser seine ersten von mittlerweile 5 Hektar Energiewaldflächen anpflanzte. „Energie-Bauer“ Paul Grundler erklärte kurzweilig und fachbewandt Ernteintervall, den Zuwachs sowie Verwendungszweck großteils für das hofeigene Nahwärmenetz.
Fakten Grundlerhof:
- 5 Hektar Energiewald, weitere 20 ha Forst
- Ernteinterwall: 5-7 Jahre, danach Wiederaustrieb
- Nutzungsdauer: ca. 25 Jahre
- Pflegeaufwand nur im Pflanzjahr, dann null
- Ernteaufwand: ca. 1.800 €/ha
V.l. Obmann-Stv. Martin Emeder, Reinhard Sperr, Gastgeber Paul Grundler, Obmann Richard Niederreiter und die Bürgermeister Ernst Pachler (Berg i.A.) und Thomas Mayrhofer (Strass i.A.)
Grundler verwöhnte uns abschließend bei Kaffee und Zimtschnecken in seiner hochmodernen Gemeinschaftsküche, die Teil eines innovativen Vermietungskonzepts ist und ein weiteres Betriebsstandbein des umtriebigen Landwirts abbildet.
Nach dem sehr gelungenen Ausflug (DANKE Obmann Stv. Martin Emeder für die Organisation und Christian Schachl für‘s Fahren!) konnten wir uns pünktlich noch die Niederlage gegen die Türkei bei der EM live im Fernsehen anschauen…
Reinhard Sperr, Juli 2024